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Angst und Furcht

Aktualisiert: vor 2 Tagen

Angst zeigt sich bedrohlich - nicht weil sie ein konkretes Objekt hat, sondern gerade weil sie das Ungewisse in unser Leben holt. Sie zeigt sich als diffuse Unruhe, als Blick in einen Abgrund, der nicht zu greifen ist.


Der Philosoph Martin Heidegger unterscheidet zwischen Furcht - die sich auf etwas Konkretes richtet, etwa auf bestimmte Tiere, Menschenansammlungen oder enge Räume - und Angst, die das Unbestimmte, Unfassbare betrifft: die Stimmung des Ausgeliefertseins an das Nichts, an die eigene Endlichkeit.


Diese Erfahrung ist nicht nur in der Philosophie, sondern auch in der Kunst zu finden. Der Maler Edvard Munch hat sie wie kaum ein anderer sichtbar gemacht. Sein berühmter Schrei ist nicht einfach eine Darstellung von Panik, sondern vermittelt vielmehr das nackte Erschrecken vor der Welt selbst. Der Mensch zeigt sich ausgeliefert in einer Welt, die nicht mehr haltbar ist - und wir spüren, wie sich die Angst in den Bildraum einschreibt. Doch Munch zeigt die Angst in vielen Facetten. In Abend auf der Karl Johans Straße bedrängt die gesichtslose Masse, in Mädchen am Fenster offenbart sich die stille Beklemmung des Wartens und Alleinseins, in Tod im Krankenzimmer die Verzweiflung der Zurückbleibenden angesichts des Todes. Munch nannte seinen Bilderzyklus nicht umsonst den "Lebensfries": Liebe, Angst, Tod - Grundstimmungen, die unser Dasein prägen.


Angst ist keine bloße Störung, dies es zu überwinden gilt, sondern vielmehr Wahrheitserfahrung. Sie legt frei, was uns sonst verborgen bleibt: dass wir verletzlich, sterblich und zugleich frei sind. In der Bodenlosigkeit der Angst liegt zugleich die Möglichkeit der Freiheit - weil wir uns nicht mehr auf Sicherheiten stützen können, sondern uns selbst entwerfen müssen. Letztlich zeigt uns die Angst, was es heißt, Mensch zu sein.

 
 
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